Das Naheland ist eine höchst spannende Region voll naturgegebener Schönheit. Gespickt mit unzähligen kulturellen Leckerbissen erzählt es die Geschichte aus allen historischen Epochen der keltischen, römischen und mittelalterlichen Zeit. Hier lebte und wirkte einst Hildegard von Bingen der heute ein grandioser Pilgerwanderweg gewidmet wurde.
Der 137 Kilometer lange Pilgerwanderweg findet seinen Anfang dort wo die dicht bewaldeten Hänge steiler werden und das Rheinische Schiefergebirge sein unverwechselbares Gesicht zeigt. Die Rede ist hier von der Edelsteinstadt Idar-Oberstein welche auf eine bewegte 1000jährige Geschichte zurück blicken darf. Eine Geschichte, die von Burgherren und Schlossbesitzern erzählt, aber auch von funkelnden Edelsteinen die hier bis heute geschliffen werden. Eingerahmt von den Strömen Rhein, Mosel, Nahe und der Saar hätte man sich überhaupt keinen schöneren Start in die Tour aussuchen können.
Wanderschuhe an und los
Es ist noch früh, die ersten Sonnenstrahlen baden gerade die Felsenkirche, das berühmte Wahrzeichen der Stadt im Morgenlicht. Wirich IV von Daun-Oberstein ließ anno 1482 auf den Fundamenten der „Burg im Loch“ die heute protestantische Kirche erbauen. Erst war diese Burg eine Wehranlage der Herren von Stein und Zufluchtsstätte für die Bewohner der Siedlung im Tal. Die große Naturhöhle des „oberen Steins“ an der Nahe gab Oberstein seinen Namen. Die Felsenkirche ist durch einen in der Neuzeit angelegten Felstunnel zugänglich. Ein wirklicher Genuss von dort oben über die Stadt zu blicken. Darüber gelegen sehen wir die Reste der Burg Bosselstein, linker Hand thront hingegen das Schloss Oberstein. Ein wirklich bemerkenswertes Bild. Wir drehen der Kulisse den Rücken und wandern in dichten Wald hinein. Anspruchsvolle Anstiege und immer wieder beste Aussichten ins Umland begleiten uns auf den ersten Kilometern Richtung Herrstein. Gurgelde Bächlein wie der Fischbach oder Hosenbach sind unsere Begleiter und wenn uns dann einmal nach einer Rast ist, stehen in regelmäßigen Abständen auch Rotondobänke zum relaxen parat. Das gefällt uns. Ein wahres Naturidyll das uns geradewegs ins lebendige Mittelalterliche Herrstein führt. Tatsächlich begibt man sich hier, angesichts der grandiosen Fachwerkidylle auf eine Zeitreise. Verwunschene kleine gepflasterte Gässchen, ein Uhrturm, die Kirche und der Schinderhannesturm untermalen den Charme dieses Ortes. Und kulinarisch? Da empfehlen wir den Besuch der Zehntscheune. Denn hier gibt es die besten „gefillte Klees“ in der Region. Mit geröstetem Brot, Hackfleisch, Speck und Lauch gefüllten Klöße in einer deftigen Specksauce. Dazu ein frisches Kirner Pils – köstlich!
Visionärin & Theologin
Die Faszination am Leben und Wirken der Hildegard von Bingens ist bis heute ungebrochen. Äbtissin, Theologin, Natur- und Heilkundlerin, Dichterin – ein Leben welches sie im schönen Naheland verbrachte. Sie gilt als ein Genie des Mittelalters. Bis heute ist sie bekannt für ihre heilenden Rezepturen aus der Pflanzenheilkunde.1098 als zehntes Kind adeliger Eltern geboren – wahrscheinlich in Niederhosenbach bei Herrstein, fand sie bereits im Kindesalter den Weg ins Kloster Disibodenberg. Freiwillig? In dieser Zeit war es durchaus üblich, dass Adelige ein Kind zur kirchlichen Erziehung in ein Kloster gaben. Unter den Fittichen ihrer Lehrerin Jutta von Sponheim wuchs eine Persönlichkeit heran deren Strahlkraft bis heute währt. Aber auch als Magistra der Frauenklause auf dem Disibodenberg musste man sich den meisten Anordnungen des Abt/Prior unterordnen. Eine Zeit als in unseren Breiten das Wort Frauenrechte und „Gleichberechtigung“ noch keinerlei Bedeutung hatte. Die Lösung brachte der Benediktinerin ihre Seherischen Fähigkeiten, ihre Visionen – sie selbst sah sich als die „Posaune Gottes“. Das öffnete ihr den Zugang zu den Mächtigen jener Zeit wie Friedrich Barbarossa oder den Päpsten. Sie verfasste Bücher, berührte für jene Zeit Themen für die andere auf dem Scheiterhaufen geendet hätten. Ihr hingegen wurde die Gründung eines eigenen Frauenklosters auf dem Rupertsberg genehmigt. Eine hochintelligente Klosterfrau – mit dem besonderen Gefühl für ein richtig gutes Marketing.
Luftige Aussichten
In Niederhosenbach rasten wir ausgiebig und beäugen an der kleinen ev. Kirche die Gedenkplakette die an Hildegard von Bingen erinnern soll. Über duftende Blumenwiesen und weite Felder erreichen wir das urige Trübenbachtal, ein Naturschutzgebiet durch das ein angenehmes kühles Lüftchen weht und uns zum rasten animiert. Immer wieder auf’s neue erblicken wir Stationen die mit Tafeln am Wegesrand zum Leben im Mittelalter informieren. Dann ist Kirn erreicht. Eine hübsche Kleinstadt und viel besuchter Marktort mit einer langen Tradition. Ein Rundgang führt zu Gebäuden aus fünf Jahrhunderten. Dabei bestechen besonders die herrschaftlichen Bauten der Fürstenfamilie von Sayn-Kyrburg ebenso wie die vielen Fachwerkhäuser im Zentrum. Hoch über der Stadt thront seit 1128 die Kyrburg, die hinter ihren dicken Mauern im Gewölbe ein einzigartiges Whisky Museum verbirgt. Auch die Etappe nach Monzingen wartet mit wunderbaren Landschaftsszenarien auf. Wir wandern durch lauschigen Wald, stapfen über Wiesen und genießen die Ruhe die uns auf diesem Pilgerweg umgibt. Erster zu Stein gewordener Höhepunkt ist die Stiftskirche St. Johannisberg wo es sich schön rasten lässt. Nebenan liegt der „Skywalk“ ein Stahlbalkon der über dem steilen Abgrund schwebt und weite Aussichten parat hält. Im hügeligen Profil geht’s beschwingt weiter, zu einem kleinen Abstecher zum Schloss Dhaun das auf eine 800jährige Geschichte zurückblicken darf. Plötzlich verändert sich auch das Landschaftsbild und wechselt von Wald- und Wiesenlandschaften zu einer wunderbaren Weinlandschaft. Hier gedeihen die vollfruchtigen Trauben von Müller-Thurgau, Dornfelder, Riesling und Grauburgunder die uns bis nach Monzingen begleiten sollen.
Orte mit besonderer Anziehung
Dem heutigen Tag blicken wir mit besonderer Spannung entgegen, denn es geht zum Herzstück auf dem Pilgerwanderweg. Dem Ort wo Hildegard von Bingen beinahe die Hälfte ihres langen Lebens verbrachte. Die Wanderschuhe geschnürt geht’s auch schon los in Richtung Bad Sobernheim. Rebenhänge und weite Wiesenlandschaften gehen hier Hand in Hand ineinander über. Gleichgesinnte sind an diesem frühen Morgen nur wenige unterwegs. Das ändert sich allerdings erst als wir die Kirchturmspitze der Badstadt erblicken. Denn der Ort hält einige Überraschungen parat. Das äußert sich zum Beispiel im eindrucksvollen Freilichtmuseum, welches malerisch in einem Seitental der Nahe liegt. Auf sehr anschauliche Weise wird dem Besucher das Leben der letzten 500 Jahre in Rheinland-Pfalz vermittelt. Gleich vier Museumsdörfer mit Dorfschmiede, Kaufmannsladen, Wassermühle, Schulhaus, Friseursalon aber auch Fleischerei und Backhaus dürfen hier nicht fehlen. Ein Zeitensprung in eine Welt grandioser Fachwerkbauten wie man sie nicht schöner darstellen kann. Die andere Attraktion: Der beliebte Barfußpfad – der erste seiner Art in Deutschland. Ein 3.500 Meter langes unvergessliches Erlebnis für Groß und Klein. Immer nah dran an der Natur versteht sich. Nach erholsamen Momenten steht jetzt auch dem Aufstieg auf den Disibodenberg bei Staudernheim nichts mehr im Wege. Erst holen wir uns noch den nächsten Stempel für unser Pilgerpass, dann entrichten wir den Eintritt in eine Kasse und passieren das Drehkreuz. Bergan geht es in den Wald hinein und schon werden die ersten Ruinen sichtbar. Zum großen Teil hat sich die Natur ihren Raum zurück erobert, alte Eichen und dicke Buchen, dazwischen diese fast 1000jährigen Gemäuer. Ein Ort, der eine tiefgehende Stille verströmt, der wir uns nicht zu entziehen vermögen. In diesen Momenten wünsche ich mir eine Zeitmaschine die mich in jene Tage zurückversetzt. Sehen und fühlen, mit eigenen Augen wie hier an diesem mystischen Ort Hildegard lebte, wirkte, betete und mit dem Abt stritt. Wir lesen aufmerksam die vielen Infotafeln die uns weitere Tiefe Einblicke in jene Tage geben, rasten sehr lange unter der jahrhunderten alten Eiche mit Blick ins Nahetal bevor wir den Rückweg antreten.
Schwestern im Geiste
Auch die nächsten Etappen versprühen den Charme von Meditation und innerer Einkehr. So geht es an diesem Morgen zunächst an der ruhigen Glan entlang bis nach Odernheim. Das kennen wir noch von unserer Radtour auf dem Glan-Blies-Radweg. Und damals entstand schon der Wunsch auch baldigst den Hildegard von Bingen Pilgerweg zu erwandern. Teile davon verlaufen heute über Asphalt aber auch weite Feldwege die uns zügig über Oberhausen mit seiner historischen Steinbrücke weiter nach Schlossböckelheim bringen. Neben der Burgruine gefällt uns der unweit gelegene Heimberg – Aussichtsturm der mit einer herrlichen Aussicht zu punkten weiß.
Die mittelschwere Etappe nach Braunweiler führt über Burgsponheim mit gleichnamiger Burg. Jutta von Sponheim (die spätere Lehrerin der Hildegard) wurde hier 1092 geboren und entschloss sich nach schwerer Krankheit Nonne zu werden. Menschen deren leben und wirken bis in die Ewigkeit miteinander verbunden bleiben werden.
Der Weg zum Rhein
Unaufhörlich streben wir dem Rhein entgegen. Jede Minute des unterwegs sein haben wir bis jetzt genossen und freuen uns schon auf die nächsten spirituellen Wegmarken auf dem Pilgerweg. Davon gibt es auch heute wieder reichlich. In Dalberg nehmen wir die Burgruine Dalberg in Augenschein. Die haben wir ganz alleine für uns, genießen jeden Augenblick in diesem mittelalterlichen Gemäuer. Dann zieht es uns weiter nach Spabrücken wo wir lange in der Wallfahrtskirche mit herrlichem Altarbild verweilen um nur wenig später in Schöneberg eine gute Kopie der Madonna von Stalingrad zu bewundern. Schritt für Schritt geht es über Stromberg durch den Binger Wald dem offiziellen Ziel entgegen. Dazwischen liegt das grandiose Morgenbachtal mit der
Steckeschlääferklamm. Hier haben sich Künstler in Form von geschnitzten Kobolden, Hexen und Waldgeistern in den Wurzeln der Bäume verewigt. Dazwischen fließt der Haselbach – wunderbar. Entlang dem Morgenbachtal folgen wir talwärts und genießen die letzten wildromantischen Waldmomente auf dem Pilgerweg. Ein Abstecher lockt zur Burg Rheinstein. Das obere Mittelrheintal zwischen Bingen und Koblenz gehört seit 2002 zum UNESCO-Welterbe. Angesichts dieser Fülle an Sehenswürdigkeiten wundert uns das nicht. Hier liegt auch der Rupersberg auf dem die berühmteste Nonne des Mittelalters um 1150 ihr eigenes Kloster erbaute und 1179 verstarb. Gegenüber sommt sich das berühmte Niederwalddenkmal. Hier in Bingen, wird der Hildegard von Bingen Pilgerwanderweg zum Binger- und Rüdesheimer Hildegardweg.
Das sind allerdings keine wirklich großen Entfernungen die wir noch zurücklegen müssen. Dazu gehört ganz selbstverständlich der Besuch
der Wallfahrtskirche St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen mit dem goldenen Hildegardschreinsowie die Benediktinerinnenabtei St. Hildegard die ihren Platz in den hoch aufragenden Weinbergen gefunden hat. Angekommen! Hier schweifen die Gedanken bei einem erfrischenden Glas Weißwein zurück bis zum Anfang in Idar-Oberstein- und danken für jeden Meter Pilgerweg den wir unter die Sohlen nehmen durften.
Infobox
Charakter
Die Wegweisung, ebenso Streckenführung und Beschaffenheit vom Pilgerweg ist vorbildlich. Schmale Pfade, gut ausgebaute Waldwege und asphaltierte Abschnitte begleiten auf 137 Kilometer Wegstrecke von Idar Oberstein bis zum Rhein nach Bingen. Dabei empfehlen wir auf den 8 Etappen eine gute Kondition. Gerne organisiert die Naheland-Touristik GmbH den Gepäcktransport zur nächsten Unterkunft.
Anreise
Auto: Die Anreise nach Idar-Oberstein: Von Norden/Süden über die A61, Ausfahrt Waldlaubersheim und Dreieck Nahetal – Ausfahrt Idar-Oberstein. Von Westen/Benelux/Frankreich über die A1/A62, Ausfahrt Idar-Oberstein.
Bahn: Von Mainz, Frankfurt und Saarbrücken aus bis nach Idar-Oberstein oder Fischbach-Weierbach bequem per Bahn. Die Regionalbahn hält in Bingen, Bad Kreuznach, Bad Münster am Stein-Ebernburg, Bad Sobernheim, Kirn, Idar-Oberstein, Neubrücke und Saarbrücken. Fahrplan- und Tarifinformationen beim Rhein-Nahe-Verkehrsbund (RNN) und der Deutschen Bahn.
Literatur
Eine Gesamt-Informationsbroschüre vom Hildegard von Bingen Pilgerwanderweg schickt die Naheland-Touristik gerne zu. Diese wäre aber auch direkt beim Start in der Touristinformation in Idar-Oberstein, Hauptstraße 419 erhältlich. Weitere Infos Online: www.hildegardweg.eu
Ausrüstung
Leichter Wanderschuh, Tagesrucksack mit Proviant und Trinkflasche, Sonnenschutz, Mütze, Stöcke und ein kleines Erste-Hilfe-Set.
Infos
Naheland-Touristik GmbH, Bahnhofstr. 37, 55606 Kirn, Tel. +49 (0)6752-137610