Text/Fotos: Klaus Herzmann
Ein echtes Eldorado für Wassersportler: Dazu gehören unbestritten die unzähligen Seen, Flüsse und Kanäle Norwegens. Grandiose Landschaften vermitteln dort im Minutentakt ein unvergleichliches Gefühl von Freiheit und Wohlsein. Interesse weckte bei uns gleich der berühmte Telemark-Kanal, der neben dem Naturerlebnis auch noch kulturell so manche Überraschung an den Ufern parat hält.
Wer nach Norwegen reist, der denkt unweigerlich an bilderbuchähnliche Landschaften wie tief eingeschnittene Fjorde, gewaltige Berge und kulturelle Highlights en masse. Zu Recht. Ein Reich voller Kontraste und Geheimnisse – ein Zufluchtsort und Magnet für all diejenigen, die gerne der zivilisierten Alltagswelt zu entfliehen wünschen. In der Gesamtfläche, ähnlich groß wie Deutschland, jedoch mit nur fünf Millionen Menschen besiedelt, bietet das Land alles was das Herz eines jeden Naturfreundes entzückt. Es erschließt sich dem Kanuwanderer eine vom Alter unabhängige Welt, die intensivsten Kontakt mit der Natur garantiert. Der Telemark-Kanal in der Provinz Telemark mit seinen über 100 Kilometern Länge und seinen vielen beeindruckenden Schleusen ist ein wunderbares Beispiel dafür. Ganz langsam nähern wir uns Skandinavien, nehmen die Fähre von Puttgarden nach Dänemark, statten Kopenhagen einen Besuch ab und entern die nächste Fähre nach Oslo. Langsam schiebt sich der Riese der DFDS Seaways bei strahlendem Sonnenschein aus dem Hafen hinaus. Wir beziehen unsere gemütliche Kabine, schlemmen so richtig gut am kalt-warmen Büffet und sind schon voller Vorfreude auf Oslo, das wir den Morgen darauf ausgeruht erreichen sollen.
Erste Eindrücke
Was direkt auffällt. Niemand drängelt im Straßenverkehr, niemand rast vorbei – es geht nordisch-ruhig zu auf unserem Weg nach Dalen, dem Ausgangsort für unsere Paddeltour. Unterwegs statten wir der größten Stabkirche Norwegens einen Besuch ab. Die wurzelt seit dem 12. Jahrhundert in Heddal. Ein Wunderwerk der Architektur, ganz aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz gefertigt und mit ihren vielen Dächern und Türmen ein echter Blickfang. Dort wo sich das Tal wieder weitet, man einen ersten herrlichen Blick auf den Bandak-See erfährt, liegt dann auch Dalen – ganz nah am Wasser gebaut. Ein schmucker kleiner Ort: Hafen, Touristinformation, Supermarkt, eine handvoll Häuser und das historische in gelb strahlende Dalen-Hotel. Hier zerren wir das Equipment aus dem Auto und organisieren uns für den nächsten Tag. Haben wir auch an alles gedacht? Zelt, Kocher, Westen, Wurfsack, Ersatzpaddel, Food für sieben Tage… – so wie das aussieht haben wir nichts vergessen. Telemark-Kanal wir kommen.
Unendlicher Paddelspaß
Der See liegt in den frühen Morgenstunden wie ein Spiegel vor uns, nur kleine Wellen schmeicheln den Ufern, die Sonne scheint. Paddelbedingungen wie aus dem Lehrbuch. Unseren Kanadier haben wir noch am Abend zuvor zusammengebaut. Wir verstauen die wasserdichten Kanusäcke und Tonnen und stoßen uns vom Ufer ab. Zug um Zug gleiten wir über den See, niemand redet, unendliche Ruhe. Um uns herum sattgrüne Waldberge, die sich weit nach oben in den blauen Himmel recken. Erst nach ungefähr zehn Kilometer erahnen wir die erste Siedlung. Hier in Lardal ist der Bandaksee besonders breit. Kiefern und Birken klammern sich an die Hänge, eine kleine schmucke Kirche gibt es zu besichtigen, aber auch der Pfarrhof verdient Aufmerksamkeit. Auf dem Campingplatz stehen bunt gewürfelt einige Zelte. Wir sind noch früh dran heute, also paddeln wir weiter. Gegenüber liegt der kleine Ort Bandaksli. Den, so mussten wir Tochter Laura versprechen, sollen wir ansteuern. Es ist schon ein paar Jahre her, dass wir für zwei Tage auf dem See unterwegs waren und wir in jenem kleinen Ort eine liebenswürdige betagte Dame kennen lernen durften. Angetroffen haben wir ihren Sohn, der sich mächtig freut. Seine Mutter Ruth hat es sich mittlerweile mit beinahe 100 Jahren in einem Seniorenheim bequem gemacht. Nach einem Kaffee und leckeren Kanelbollen (Norwegische Zimtschnecken) zieht es uns wieder zu neuen Ufern. Steil ragen jetzt die Felsen aus dem Wasser auf und es soll noch einige Zeit dauern, bis wir auf einem fein gekiesten Strand unser Nachtlager aufbauen können.
Bilderbuchlandschaften
Wir lassen den Bandak hinter uns münden in den Strauman, der sich mehr als Fluss den als See zeigt. Der geht nahtlos in den Kvitseidsvatnet über, der wiederum später in den nächsten See mündet. Campingplätze sind reichlich vorhanden, aber als notorische Wildcamper suchen wir uns jeden Abend ein Plätzchen nach unserem Geschmack. Dann wird das Zelt aufgebaut, ein kleines Grubenfeuer entfacht, Tee getrunken und Travellunch verzehrt – natürlich jeden Abend einen anderen schmackhaften Gaumenkitzel. Nur das tägliche Bad im See kostet immer etwas Überwindung. Es ist doch ganz schön kalt, aber das gehört zum Draußen sein einfach dazu. Wir paddeln weiter auf dem Flavatn dahin bis nach Strengen. In der Zeit der Holzflößerei wurden hier riesige Holzbündel geschleppt, die den Menschen an den Ufern ein Auskommen bot. Saßen wir bis jetzt nur im Boot, so zeigen sich ab hier ganz andere Herausforderungen. Schleusen. Gebaut wurde der Telemarkkanal in der zweiten Hälfte des 19. Jh. um die wirtschaftlich reichen Regionen Telemarks an die Skagerrak-Küste Südnorwegens anzubinden. Das geschah zu einer Zeit, als in Norwegen der Verkehr fast ausschließlich via Wasserwege funktionierte. Postkutschen waren mühsam, das Auto noch nicht erfunden. Bei seiner Einweihung mussten ab sofort 72 Höhenmeter durch 18 Schleusenkammern von der Nordsee bis nach Dalen überwunden werden, ein bauliches Meisterwerk. Heute sind die Schleusen weniger Lebensader, vielmehr touristische Attraktion. Ganz besonders natürlich die hier verkehrenden Schiffe: M/S Hendrik Ibsen und die M/S Victoria, die beide seit mehr als 100 Jahre zuverlässig ihren Dienst verrichten und exakt nach der Größe der Schleusen gebaut wurden. An den Schleusen ist als Paddler allerdings Vorsicht geboten. Wir achten auf die Schilder, landen früh genug an, ziehen das Boot aus dem Wasser und nutzen einen Portagenwagen, um das Hindernis zu umgehen. Was manches Mal doch einiges an Energie kostet. Eine Gruppe Japaner fragt freundlich um ein Foto. Das auch noch. Sie streifen unsere Westen über und posieren ganz bootsmännisch vor unserem roten Kanadier. Dann geht’s auch schon weiter. An den Schleusen Vrangfoss, Eidsfoss und Ulefoss verweilen wir allerdings am Längsten, denn diese faszinieren uns mit ihrer Höhendifferenz. Besonders dann, wenn die alte Hendrik Ibsen mit lautem Pfeifen in die erste Schleusenkammer fährt und das Personal wie seit je her die Schleusentore von Hand und mit viel Muskelschmalz bedient. Ein unglaubliches Spektakel.
Dem Ziel ganz nah
Gemütlich gehen wir die letzten beiden Tage unserer Paddeltour auf dem historischen Telemark-Kanal an. Bestimmt liegt der reizvollste Teil der Tour hinter uns, allerdings haben wir uns fest vorgenommen weiter bis nach Skien zu paddeln. Überall sehen wir jetzt kleine Bootsanleger mit hübschen Holzhäusern im Hintergrund. Wie schön wäre es doch, könnten wir eines unser Eigen nennen. Ein Norweger erzählt uns, dass wir jetzt auf dem ältesten Teil des Kanals paddeln würden. Eine Nacht liegt noch zwischen uns und unserem Ziel. Ein letztes Mal suchen wir ein schönes Camp am idyllischen Norsjo bevor uns die Zivilisation in Skien endgültig wieder hat. Skien, eine schmucke Stadt, deren Geschichte bis in das 11. Jahrhundert zurückreicht. Wegen seiner günstigen Lage in Küstennähe sowie der vielen Seen und Flüsse entwickelte sich die Stadt bald zum wichtigsten Ausfuhrzentrum der Wald -und Hügelregion Telemark. Hier landen wir an, legen unsere Westen ab und freuen über unsere grandiosen Tage auf dem Telemark-Kanal. Aber auch über ein weiches Bett und eine heiße Dusche…
Infobox Paddeln auf dem Telemarkkanal
Anreise
Den Ausgangspunkt in Dalen erreicht man am besten via Fähre von Puttgarden nach Rodby/Dänemark mit der Scandlines (www.scandlines.de) ca. 1 Stunde und weiter von Kopenhagen nach Oslo mit DFDS Seaways (www.dfds.de) über Nacht. Mit dem Auto geht es von Oslo über die E18 nach Drammen und weiter über die E138 über Notodden nach Höydalsmo und weiter auf der 45 zum Ausgangspunkt. TIPP: Nach dem Abladen den PKW zum Zielpunkt nach Skien bringen (großer Parkplatz im Stadtzentrum) und mit dem Kanalbus zurück zum Ausgangsort. Fahrzeit Auto: ca. 2 Std. Fahrzeit Kanalbus: ca. 3 1/2 Std. Infos zu Abfahrtzeiten www.kanalbussen.no.
Viele Strassen in Norwegen sind mautpflichtig – das Fahrzeug wird automatisch digital erfasst, wobei die Rechnung automatisch an die Heimatadresse geschickt wird (nach ca. 4-6 Wochen). Das Geld kann dann einfach auf ein deutsches Konto überwiesen werden. Vorregistrierung mit Bankeinzug empfanden wir als eher umständlich!
Reiseführer/Karten
Reisehandbuch Norwegen, ISBN: 978-3-8317-2472-7, 24,90 Euro, Karte Norwegen Süd, ISBN: 978-3-8317-7352-7, 9,95 Euro, www.reise-know-how.de; Outdoor Kompass Südnorwegen, ISBN: 978-3-934014-23-7, 19,90 Euro www.thomas-kettler-verlag.de; Kartenmaterial über den Kanal, Zeltplätze, 1:100.000, kann in der Touristinfo in Skien oder Dalen erworben werden.
Tourenvorschlag
Der Telemarkkanal von Dalen nach Skien umfasst eine Länge von ca.105 Kilometer. Dafür sollten je nach Kondition 4-7 Tage eingeplant werden. Größtenteils paddelt man dabei auf wunderbaren Seen und flussartig natürlichen Verbindungsstrecken. Hindernisse bilden ausschließlich die Schleusen, die umtragen werden müssen – hier empfiehlt sich ein Portagenwagen (der zur Not an jeder Schleuse auch ausgeliehen werden kann). Kommt Wind auf, empfiehlt sich die Weiterfahrt in Ufernähe.
Links
www.visitnorway.com
www.visittelemark.com
Kanuverleih
Dalen, Telemark Adventure, Aasmund Nordgaards. Tel.: +47 928 17 012 www.telemarkadventure.com