Den 3-Länder-Radweg Odenwald teilen sich gleich drei Bundesländer: Hessen, Bayern und Baden-Württemberg. Mal sportlich, mal gemütlich führt der abwechslungsreiche Rundkurs durch waldreiche Mittelgebirgslandschaften, die von tief eingeschnittenen Tälern durchzogen sind. Und dazwischen – da wurzelt eine Dichte an Sehenswürdigkeiten, die ihresgleichen sucht.
Eine grandiose, von Sagen umwobene Landschaft stellt sich vor – der Naturpark Odenwald. Verträumte Dörfer und geschäftige Städte, dazu das grüne Wipfelmeer in Tälern und auf Berghöhen. Gesäumt wird das Juwel der Wälder von den Flüssen Main, Neckar und der kleinen Mümling, die schlussendlich allesamt vereint dem Rhein zustreben. Allerorts begegnet man Spuren der Vergangenheit, angefangen bei den römischen Grenzbefestigungen bis hin zu mächtigen Burgen und kleinstädtischem Fachwerkzauber. Michelstadt erzählt eine solche Geschichte. Darum haben wir das mittelalterliche Idyll auch als Ausgangpunkt für unsere Radreise gewählt.
Im Herzen des Odenwaldes
Der Marktplatz von Michelstadt ist ein Schmuckkästchen. Gepflasterter Vorplatz mit Brunnen, windschiefe Bürgerhäuser und ein Rathaus mit einer ebenerdigen Halle, obendrauf ein prächtiger Fachwerkaufsatz. Mit dem Steildach zählt es zu den originellsten seiner Art in Deutschland und bildet gemeinsam mit dem wuchtigen Turm der Stadtkirche ein unverwechselbares Ensemble. Einen Fachwerkaufsatz hat auch der Diebesturm, der letzte steinerne Zeitzeuge der alten Stadtbefestigung. Etwas außerhalb liegen noch zwei weitere Kostbarkeiten: Schloss Fürstenau und die sehr viel ältere Einhardsbasilika, die nach dem Biographen Karls des Großen benannt ist. Wir sind im Zentrum des Buntsandsteins, einem Fenster in die Erdgeschichte der Region. Landwirtschaft war seit jeher nur in bescheidenem Rahmen möglich, der Wald jedoch ist bis zum heutigen Tag das beherrschende Landschaftselement. Ein Blick in die Radkarte am Morgen genügt um zu erkennen, dass uns heute eine hügelige Etappe bis nach Hirschhorn am Neckar bevorsteht. Erst einmal radeln wir aber flach dahin, nach Erbach, das durch seine Elfenbeinschnitzereien berühmt wurde. Im ausgehenden 18. Jh. waren die wirtschaftlichen Verhältnisse so erbärmlich, dass der kunstsinnige Graf Franz I einen neuen Handwerkszweig entdeckte und im Erbacher Schloss eine Musterwerkstatt einrichtete. Aus massiven Elefantenstoßzähnen wurden filigrane Kunstwerke. Bis heute hat die Tradition bestand, allerdings stark reglementiert und nur noch mit zertifiziertem Mammut-Elfenbein erlaubt. Von nun an geht’s bergauf. Wir überqueren die Bahnlinie, folgen der schmalen Asphaltstrasse in den Wald hinein. Der wechselt zum Kiesweg und strebt der „Hohen Strasse“ entgegen. Belohnt werden wir mit grandiosen Fernsichten. In Beerfelden, 430 m ü. NN ist die höchstgelegene Gemeinde im Odenwald erreicht. Und wer jetzt denkt es geht nur noch bergab, der irrt. Sehenswert ist hier die am besten erhaltene Richtstätte Deutschlands aus 1597. Rotsandsteinsäulen bilden hier einen „dreischläfrigen Galgen“. Da mutet das liebliche Plätschern aus dem Zwölfrohrenbrunnen der Gemeinde schon fröhlicher an. Dutzendfach ergießt sich kristallklares Wasser der Mümlingquelle in den Steinernen Trog. Das Flüsschen, das dem ganzen Tal den Namen gibt.
Dichter, Denker- Philosophen
Dort, wo der Neckar eine malerische Doppelschleife zieht, liegt Hirschhorn. Die eindrucksvolle Burganlage mit Mauern und Türmen der Stadtbefestigung verleihen der Gemeinde ihr mittelalterliches Aussehen. Hoch über der Stadt liegt die um 1200 erbaute Burg, auf deren Turm man unbedingt aufsteigen sollte. Nach endlosen Stufen eröffnen sich unvergessliche Panoramen auf den Fluss und die sattgrünen Waldberge. Darunter liegt das 1406 gegründete Karmeliterkloster. Auch die Ersheimer Kapelle verdient Aufmerksamkeit, ist sie doch der älteste Sakralbau im Neckartal und weist eine beinahe 1300jährige Geschichte auf. Angesicht der Kulisse wundert es kaum, dass sich Persönlichkeiten wie Mark Twain, der Autor von Tom Sawyer, für mehrere Tage hier niederließ. Die offizielle Route verläuft weiter nach Eberbach. Das Touristenmagnet Heidelberg liegt allerdings so nah, dass wir nicht widerstehen können. Es gibt Städte, da scheint die Zeit manchmal stillzustehen. Sie bestechen mit Rathäusern und Kirchen, Wehrtürmen und Bürgerhäusern, die aus dem Bilderbuch des deutschen Mittelalters stammen könnten. Und so wird ein Stadtbummel in Heidelberg auch zu einem Ausflug in die Vergangenheit – als noch mit Holz gebaut wurde und nicht mit Beton und Stahl. Heidelberg, ein Ort, der auf seinen Weltruf stolz ist. Einen Ruf, der sich nicht alleine auf Schloss und Neckar gründet. Denn hier verschmelzen seit Jahrhunderten deutsche Romantik mit dem wachen Geist der ältesten Universität des Landes. Das Schloss, das bereits Ende des 17. Jh. zur Ruine wurde, thront über der Stadt. In dessen Schatten liegt der Kornmarkt mit seinem pittoresken Häuserensemble. Ein Labyrinth an verwinkelten, Kopfstein gepflasterten Gassen durchwirkt die Altstadt mit ihren Tausenden von Besuchern. Demjenigen, der die Ruhe vom Trubel sucht, sei der Philosophenweg empfohlen. Den erreicht man über die alte Steinbrücke jenseits des Neckars. Der kleine Ausflug belohnt postwendend mit dem wohl klassischsten Blick auf die Stadt. Den Rückweg nach Hirschhorn gehen wir jetzt gemütlich an. Durch die landschaftlich reizvolle Engtalstelle rollen wir über Neckarsteinach nach Neckargemünd. Hier bekommt der romantische Strom Verstärkung durch die Elsenz. Schon die Burgen alleine bescheren der Region einen hohen Erlebniswert. Nur durch ein paar Flusskilometer voneinander getrennt, erblicken wir zwei ganz besondere Exemplare, die untrennbar mit bedeutenden Bühnenwerken verbunden sind. Auf Burg Hornberg über Neckarzimmern schrieb der Ritter mit der Eisernen Hand seine Memoiren, aus denen Goethe den Stoff für sein Schauspiel „Götz von Berlichingen“ schöpfte. Und hinter Burg Zwingenberg liegt die wildromantische Wolfsschlucht, die den Komponisten Carl Maria von Weber zu seiner Oper „Der Freischütz“ inspiriert haben soll…
Vom Neckar an den Main
Im historischen Eberbach wendet sich der Neckar dem Rhein zu. Einst eine bedeutende Schifferstadt. Heute erinnern noch die vier Türme und Teile der alten Stadtmauer an die stolze Vergangenheit. In engen Schleifen windet sich der Fluss über Neckargerach, Guttenbach nach Binau. Mittlerweile haben wir aufgehört die Unmengen an prächtigen Bollwerken in den Talhängen zu zählen, die wie übermächtige Wegweiser die Richtung in das benachbarte Mosbach weisen. Das Fachwerkidyll im Elztal zeigt sich mit hübschem gepflastertem Marktplatz. Drum herum stehen schöne Bürgerhäuser und eine Stadtkirche, die um die Blicke der Besucher buhlen. Das Städtchen war von 1410 bis 1803 Residenzstadt der „Kleinen Pfalz“. Was die Stadtchronik belegt, zeugt von einer lebhaften Vergangenheit: Zerstörung, Feuersbrunst und der 30jährigen Krieg setzten der Gemeinde zu. Davon ist heute freilich nichts mehr zu sehen. Wir genießen den Rundgang „1000 Schritte durch die Altstadt“ – eine originelle Idee der Stadtväter auf zwei beschilderten Rundgängen die Geschichte zu vermitteln. Unter den vielen Sehenswürdigkeiten beeindruckt uns besonders das Palm’sche Haus von 1610. Aber auch das Rathaus ist ein Hingucker, mit seiner eleganten Freitreppe. Ausklingen lassen wir den Tag im Badischen mit einem Glas Wein aus der Region. Bei Mosbach trennen wir uns vom Neckar und radeln über einen Bahntrassenweg der ehemaligen Odenwaldbahn nach Mudau. Es geht wieder einmal bergan. Abwechslungsreich bewegen wir die Räder durch Felder, Wald und Wiesenlandschaften. Buchen ist der nächste Ort auf unserer Route. Auf einer Hochebene gelegen präsentiert sich die Gemeinde in mittelalterlichem Charakter. Eindrucksvoll empfängt uns der mächtige Torturm aus dem 13. Jh. Das barocke Rathaus stammt von 1723 und bildet gemeinsam mit dem „steinernen Bau“ ein schönes Ensemble. Die Kette an beeindruckenden Orten will gar nicht abreißen. Schon gar nicht hier im Madonnenländchen, wie auch der östliche Odenwald genannt wird. Das beweist auch unser nächster Stopp im Wallfahrtsort Walldürn. Hunderte von Pilgern haben sich bereits am zweiten Sonntag nach Pfingsten an der Wallfahrtsbasilika „Zum heiligen Blut“ versammelt. Eine in rotem Sandstein ausgeführte Barockkirche mit zwei Türmen, die auch das Ortsbild beherrschen. Und wer mehr über die Tradition erfahren möchte, bekommt viel Wissenswertes im Wallfahrtsmuseum vermittelt. Ein wenig außerhalb des Zentrums verläuft der Limes, der uns direkt nach Miltenberg an den Main führt.
Zurück auf Los
Miltenberg wird am linken Ufer vom Odenwald gesäumt und am rechten Ufer vom Spessart. Dort wo schon die Römer um die strategisch beste Lage wussten, ließen die Sandalenträger ein Kastell errichten. „Perle des Mains,“ so nennen sich die Miltenberger bis heute – und das zu Recht. Um den Marktplatz ballt sich das schönste Fachwerk und wird zum Ausdruck bürgerlichen Wohlstands. Gepflasterte Gassen durchwirken den Ort. Nur ein schmaler Durchschlupf bleibt offen, das Schnatterloch, das den steilen Weg zur Miltenburg weist. Der Aufstieg wird mit einer herrlichen Aussicht auf die Stadt und den Main belohnt. Das aber auch schon früher Besucher herbeiströmten, davon legt eines der ältesten Gasthäuser Deutschlands Zeugnis ab. Der Riesen, eine mittelalterliche Fürstenherberge. 1158 logierte hier Kaiser Barbarossa, Martin Luther war auch da und Elvis Presley ließ sich wohl für einen neuen Song inspirieren. Wir begeben uns auf die letzte verbleibende Etappe zurück nach Michelstadt. Dem Main folgend sausen wir flach nach Kleinheubach. Oben schimmert rötlich das gleichnamige Schloss, dessen Vorbild in Versailles steht. Der prächtige Schlosspark verdient Aufmerksamkeit. Aber auch das schmucke Klingenberg, die Rotweinstadt mit ihrem malerischen Rathaus. Erst bei Obernburg ändert sich erneut das Landschaftsbild. Das zu Anfang liebliche Mümlingtal wird ganz plötzlich wieder von dunklen Wäldern umgarnt. Immer wieder laden Abstecher auf verheißungsvolle Burgen ein. Nochmals geht’s kräftig bergan, erst nach Höchst und weiter nach Bad König. Ein quellenreicher Ort im Mümlingtal, in dessen schönem Kurpark mit See es sich prächtig Rasten lässt. Noch ein letzter Blick auf die Sehenswürdigkeiten, die sich rund um den Schlossplatz drapieren, dann geht’s zurück auf Los nach Michelstadt. Hier frönen wir an der historischen Stadtmauer im Gasthaus „Zum Grünen Baum“ der hessischen Küche und sind dankbar für viele erlebnisreiche Tage auf dem 3-Länder-Radweg Odenwald…