Freundschaft ist weit tragischer als Liebe – sie dauert länger
der das schrieb war Oscar Wilde…und dass es in gewisser weise auch zutrifft, zeigen die nunmehr 20 Jahre, die meinen Schweizer Kumpel Beat und mich verbinden. In Perth, an der Westküste Australiens, sind wir uns das erste Mal begegnet. Keiner konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, was uns noch an gemeinsamen Abenteuern erwartet. Mittlerweile haben unsere Reisen einen heiteren angenehmen Eigenrhythmus entwickelt, worauf wir nicht mehr verzichten möchten. So glitten wir mit dem Kanu den Yukon River hinunter, stellten uns über Wochen den Grizzlybären in Alaska und durchstiegen die grandiosen Landschaften von West Papua. Und jetzt, zum „Jubiläum“, wählten wir als Reiseziel Lateinamerika – von Bogotá nach Quito. Natürlich mit dem Velo, in einem Monat, 1350 km Ungewissheit. Gewiss ist nur: In der Hauptstadt Ecuadors erwartet uns Beats Bruder Oliver, der dort mit Kind und Kegel lebt.
Von Alpträumen geplagt
Familie und Freunde erinnern besorgt daran, was auf der Seite vom Auswärtigen Amt über Kolumbien steht. Aber hallo, die Zeilen lesen sich wirklich wie ein Krimi: Mord, Drogen, Entführungen und den Hinweis auf Rebellengruppen, die mittlerweile stark dezimiert immer noch schlagkräftig agieren. Die Erfahrung hat mir allerdings gezeigt, dass es sich meist um überzogene Darstellungen handelt, die mit der Realität wenig zu tun haben – beruhige ich mich selbst. „Wird so schlimm nicht sein“, meint Beat am Telefon. Das ändert nur wenig daran, dass die letzten Tage vor dem Abflug meine Nervosität ansteigt. Oft erwache ich in der Nacht mit Herzklopfen. Dann geht’s rasant vorwärts: Mitte Juni landen wir am Airport El Dorado in Bogotá. Könnten Beat und ich einen Preis für „schnelle Abwicklung“ verleihen, so wäre Kolumbien bestimmt ein Anwärter auf Edelmetall. Unglaubliche 35 Minuten benötigen wir für die Passkontrolle, Gepäckaufnahme, Velo beim Sperrgepäck entgegen nehmen bis zum Verlassen des Terminals. Dort wartet bereits ein freundlich lächelnder Herr mit einem nicht zu übersehenden Schild „Bienvenidos Beat & Klaus“. Stark ernüchternd wirkt auf uns allerdings das bestellte „Großraumtaxi“, das sich als eher mickrige überdachte Zündkerze entpuppt. Aber Südamerika wäre eben nicht Südamerika – die Meister der Improvisation. Somit landet manches auf dem Dach, einiges auf dem Rücksitz und etwas im viel zu kleinen Kofferraum, der sich allerdings nicht mehr schließen lässt. Ein Seil oder etwas Ähnliches wäre jetzt gut – ist aber nicht verfügbar. So greift unser Fahrer beherzt an seine Hüfte und zieht seinen Gürtel ab. In Zeitlupe rutscht dabei seine zu große Hose auf Halbmast. Zuerst Schmunzeln wir noch, dann biegen wir uns alle vor Lachen und die Tränen rollen uns die Backen hinunter. Was für ein Auftakt denke ich mir? Die halbe Stunde Fahrt durch die Nacht zu unserem Quartier ist dann nur noch reine Routine – Kolumbien wir kommen…
Erste Gehversuche
Die sechsstündige Zeitverschiebung macht uns zu schaffen. Ungewöhnlich früh sind wir schon munter und freuen uns aufs erste stärkende Frühstück in der Ferne. Zwischen Rühreier mit Schinken, exotischem Fruchtsalat und Kaffee verständigen wir unsere Lieben Zuhause, dass es uns gut geht. „Fürs erste ist die Familie beruhigt“, sage ich zu Beat. Anschließend schlendern wir die Straße hinunter in Richtung Plaza Bolivar. Schon weithin sichtbar liegen dort auf engem Raum die Repräsentanten der beiden Kräftepunkte zusammen. Zum einen präsentiert sich die Plaza als Zentrum der bürgerlichen Stadt mit ihrem profanen Rathaus und dem Kapitol. Zum anderen zeigt sich die mächtige Kathedrale als Mittelpunkt der Geistlichkeit. Unsere Rezeptionistin hat uns darüber hinaus die Fahrt auf den Hausberg ebenso das berühmte Goldmuseum empfohlen. Dafür brauchen wir aber erst einmal Geld aus einem der vielen Geldautomaten. Allesamt scharf bewacht von Polizei mit Schnellfeuergewehren, die hier Paarweise patrollieren. Wir ziehen 700.000 Peso Colombiano. Das klingt erst einmal viel und ist das Maximum was geht – sind aber gerade mal 330 Franken. „Mal sehen,“ meint Beat, „wie lange wir damit wohl auskommen“?
Dann steht dem Besuch im Museum nichts mehr im Wege. Es dokumentiert eindrucksvoll das Handwerk mit dem Edelmetall der wichtigsten präkolumbianischen Indio-Kulturen. Wir werden fast geblendet von lückenlos mit Gold behängten Wänden und anderem edlen Geschmeide. Dann peilen wir die Bergstation an von wo aus im ½ Stundentakt eine Gondel die Gäste von 2640 Meter Stadtlevel auf den 3120 Meter hohen Monserate befördert. Jetzt wird mir die Luft wirklich dünn – zügig Vorwärts zu kommen bringt mich in Atemnot. Beat macht das gar nichts aus. Kein Wunder – er ist Bergläufer. Der Panoramablick über das Häusermeer der 8 Mio. Metropole ist einfach überwältigend. Eine Gruppe von Studenten gesellt sich zu uns und erklärt, dass sich Bogotá mittlerweile in Nord-Südrichtung über 40 Kilometer erstreckt. Das Stadt- und Straßenbild erscheint von hier oben wie eine Messlatte für Reichtum und Armut. Hier der reiche hippe Norden mit Einkaufsmeilen und Oldtimertreffen, dort der Süden, das Zuhause der Armen. Ihr müsst wissen: „Wer nördlich der Calle 90 wohnt, signalisiert automatisch, allein durch seine Adresse Geld und Einfluss“ meint José einer der Studenten. Zurück im Hotel, präparieren wir unsere Velos für den morgigen Start.
Beim Auschecken, wir blockieren gerade mit unseren voll bepackten Reisegefährten den Eingang, werden wir völlig unerwartet von der Rezeptionistin gesegnet. „Ich bete für Euch beide und zünde heute noch eine Kerze an“, haucht uns die Hübsche entgegen. Die Aussage nehme ich erst einmal so hin und sage dann zu Beat: „Scheinbar ist das für unser Reisevorhaben notwendig, hast Du auch den traurigen Blick wahrgenommen?“, – und da war sie plötzlich wieder, die Nervosität, die ich gestern den ganzen Tag nicht verspürt hatte….
Achtung Rebellengebiet
In südwestlicher Richtung pedalieren wir langsam aus Bogotá. Ein alter klappriger Bus zirkelt vor uns durch die Blechlawine und hüllt uns in eine schier undurchdringbare schwarze stinkende Qualmwolke. Ich ringe nach Luft – Puh, kaum auszuhalten. Am Straßenrand parkt mit abgedunkelten Scheiben eine schwarze Limousine der Luxusreihe. Pferdekutschen, über und über mit Obst und Gemüse beladen traben eilig dem nächsten Markt entgegen. Welche Kontraste. Zwischen den Gipfeln der Anden verschmelzen seit jeher eine beeindruckende Vielfalt an Mensch und Kultur. Nach über zwei Stunden kommen wir auf eine ruhige Nebenstraße. Endlich wieder richtig durchatmen. Kleine Ortschaften und schmucke bunt getünchte Städtchen wie Fusagasuga und Arbelage liegen auf unserer Route. Bei der Bevölkerung kommen wir scheinbar gut an. Überall ernten wir wohlwollendes Lächeln. Man reckt den Daumen nach oben – winkt uns freundlich zu.
Erste grandiose Fernsichten von der kühlen Hochebene ins heiße Tal des Rio Magdalena tun sich auf. Die wollen erkämpft werden. Flachetappen – Fehlanzeige. Im starken Wellenritt passieren wir nicht nur verschiedene Klimazonen, sondern auch so manchen Militär Check-Point. Die Minen der Männer in Camouflage sind steinhart, konzentriert und wachsam. Im Spalier, bis an die Zähne bewaffnet stehen sie beidseitig der Straße. So, als würde gleich eine Schießerei erwartet. Die Angst vor Rebellen, wie den Farc, ist spürbar allgegenwärtig. In Wirklichkeit lassen seit Jahren Guerillas und Paramilitärs wenigstens die wenigen Touristen im Land in Ruhe, „Es sei denn, die verirren sich in ein Kokafeld“, sagt uns ein junger Soldat abgeklärt. „Die Agressionen richten sich größtenteils gegen den Staatsapparat“, meint er, „also, macht Euch keine Sorgen Amigos“.
Bunt und einfallsreich malt sich das alltägliche Leben und Überleben in Kolumbien auf der Straße ab. Gerade auf dem Land versucht jedermann seine wirtschaftliche Situation durch Einfallsreichtum zu verbessern. Bei etwa 250 Franken Einkommen im Monat ist hier Kreativität gefragt. Weiß gekleidete Fahnen schwenkende Menschen animieren zum Verzehr von knusprig-frisch gebratenen Spanferkel am Straßenrand. Kunstvoll zu Pyramiden drapierte Früchte warten auf Abnehmer. „Für die Verpflegung unterwegs ist sichtlich gesorgt“, schmunzelt Beat und lässt es sich weiter schmecken. Dazwischen huschen Kinder hervor, rufen: „Hey Gringo, how are you.“ und verstecken sich dann blitzartig hinter ihrer Hütte. Breiten wir unsere Landkarte aus, steht schnell eine Menschentraube beisammen, zeigt sich neugierig und interessiert. Alle wollen wissen woher wir kommen und wohin die Reise geht, sind erstaunt, dass wir Europäer und nicht Amerikaner sind. An dieser Wegmarke zerstreuen sich auch die letzten Bedenken und Ängste – rechtzeitig, um entspannt die berühmten Festtage im Departemento Huila zu erleben…
Eine Region feiert sich…
Alljährlich, die letzte Juniwoche hindurch, finden zu Ehren von San Juan und San Pedro das Festival Folclorico statt. Für den Auftakt zu diesem Spektakel machen wir uns zügig nach Aipe. Bereits 280 km liegen hinter uns bis in diese typische südamerikanische Kleinstadt mit einladendem Plaza und einer Kirche, die noch aus der Zeit der Conquistadores stammt. Nur die Suche nach der Unterkunft gestaltet sich weitaus schwieriger als auf den ersten Etappen. „Leider ausgebucht,“ ist zu hören. Entnervt lassen wir nichts unversucht, bis wir endlich das letzte Zimmer im Hotel Casablanca ergattern. Duschen und runter auf die Strasse. Hier laufen die Menschen bereits zu Höchstform auf. Girlanden schmücken die Fassaden, mobile Essenswägelchen werden zurechtgerückt und die Bühnenbauer verschrauben die letzten Lichtstrahler. Aus allen Ecken und Enden der Stadt strömen die Menschen herbei. Die Bars füllen sich. Vom Baby im Kinderwagen bis zum Greis scheint alles unterwegs. Und das bei subtropischen Temperaturen jenseits der 30 Grad. Bei Einbruch der Dunkelheit erhöht sich merklich der Geräuschpegel. Hunderte Fans feuern ihren Favoriten beim Sängerwettbewerb an. Die singen – eher gewöhnungsbedürftig – herzzerreißende, schwermütige Lieder von Liebe & Schmerz. Dazu kommt, dass rund um den Plaza jeder Barbesitzer versucht mit noch höheren Boxentürmen die Konkurenz zu überbieten. Der Radau ist ohrenbetäubend. Die Einheimischen, völlig lärmremresistent, klopfen uns immer wieder auf die Schulter, laden uns zu einem Drink ein, dem leckeren Aguardiente Doble Anis. Zur Stärkung gehen wir an eine der vielen Fressbuden. Saftige Fleischspieße, Empanadas und Tamales warten hier auf Abnehmer. Letzteres ist mein persönlicher Favorit – in Bananenblättern gegartes Maismus mit Gemüse und Fleisch – lecker! Irgendwann verlassen wir mit etwas Schlagseite das Gelage und begeben uns zu Bett. Als wir am Morgen schläfrig vom Balkon blicken, sitzen die Ersten schon wieder oder immer noch vor der Bar und umklammern ein kühles Pokerbier. Auf unserem Programm steht heute die Tatacoa Wüste. Die erreichen wir über den Rio Magdalena – denken wir blauäugig. Eine Flussquerung mit Hindernissen, wie sich rausstellen soll. Die erste Brücke über den Seitenarm ist löchrig wie ein Schweizer Käse. Ganze Bretter fehlen und die Höhe ist nicht zu unterschätzen. Etwas ratlos stehen wir herum, bis ein Mopedfahrer heranrollt. „Ja, ja“, meint dieser „das ist der richtige Weg“. Wir warten gespannt ab, wie er die Situation wohl händelt. Ein junger Mann, der sich so scheint es, auf die „Überquerung“ spezialisiert hat, hilft für ein paar Pesos dem Mopedlenker. Jeder Tritt sitzt, oft schaukelt alles verdächtig – Beat wirkt etwas blass um die Nase. Irgendwann sind auch wir drüben – geschafft, denken wir. Von wegen, das Beste soll noch kommen. Dem schmalen Weg folgend erreichen wir das Ufer. Der mächtige Strom schiebt behäbig seine braunen Wasser auf stolzen 1550 km Länge nach Norden dem Karibischen Meer entgegen. Allerdings ist keine Brücke in Sicht. Hier treffen wir dann auch wieder den Mopedfahrer. „Wie kommen wir hier rüber?“, frage ich. Im gleichen Moment zückt er einen Papierschnipsel mit einer Telefonnummer drauf. Via Handy tätigt er einen Anruf. „Kleinen Moment noch,“ gibt er uns zu verstehen, „das Boot wird gleich kommen“. Boot? Ein besseres Kanu kommt da auf uns zu. „Da sollen wir alle rein?“ frage ich verdutzt. „Das geht, kein Problem,“ und „ich kann noch nicht einmal schwimmen,“ meint er lächelnd. Schneller als gedacht ist alles verstaut. Wir legen ab und lachen – Südamerikaner sind wirklich die Meister der Improvisation. Die Tatacoawüste zeigt sich in wunderbar kargem Nichts. Rein die meterhohen Kakteen sorgen für den farblichen Kontrast. Und es ist heiß und es ist ruhig. Wir besichtigen das weiß getünchte Observatorium, genehmigen uns eine kühle Cola im angrenzenden Lokal und machen uns wieder auf den Weg. Unterwegs gen Süden treffen wir Sydney, einen gleich gesinnten Long Distance Biker vom Thunersee. Die Freude ist groß. „Schade, dass ihr in die andere Richtung fahrt,“ meint der 1,90-Mann. Kurz vor Einbruch der Nacht um 18.00 Uhr erreichen wir dann Hobo. Uns soll wieder eine dieser authentischen und unverfälschten Kleinstädte erwarten, dort wo sich kaum ein Tourist hin verirrt. Keine Souvenirgeschäfte, keine bettelnden Kinder, die für ein paar Pesos hinterher rennen. Dafür echte Gastfreundschaft von der ersten Minute an. Auch hier sind die Feierlichkeiten in vollem Gange. Bunte Umzüge, nach der Wahl der besten Sanjuanero Tänzerin. Mopedkorsos, die sich gegenseitig mit Mehl und Wasser modellieren. Musikkapellen und Stierkämpfe – wobei hier eher von einer müden bewegungsfaulen Kuh zu reden wäre. Egal, die Stimmung ist grandios. Der Alkohol fließt wieder in Strömen. Beat und ich mittendrin – fühlen uns sauwohl in diesem unbeschwerten, ausgelassenen Treiben im Departemento Huila…
Schicksalstage…
Umso näher wir an die Grenze zu Ecuador kommen, umso spektakulärer offenbart sich das Bergpanorama. Unsere Tagesetappen liegen bei 50 bis 90 km. Am morgen geht es erstmal 10 km ins Loch runter. Tief unten bahnt sich indes der Rio Magdalena seinen Weg. Unsere Vorahnung bestätigt sich im nächsten Anstieg. Beat, mit 20 Kilo weniger auf den Rippen springt mir wie immer am Pass davon. In Gigante steuern wir auf den Geldautomaten zu, bevor wir den Velo-Shop konsultieren, denn die Ketten brauchen Fett. Dazu gibt’s vom Chef starken Kaffee, der Tote erwecken würde. Als wir eine Geldnote zücken, meint er, „Lasst stecken Jungs, das war mir ein Vergnügen.“ Herrliche Alleen und Kaffeeplantagen prägen jetzt die Landschaft – die Natur scheint förmlich zu explodieren.
Unser nächstes Ziel sind die Ausgrabungsstätten von San Agustine – Unesco Weltkulturerbe. Der Besuch gehört zweifellos zu den beeindruckenden Erlebnissen einer Kolumbienreise. „Die laufen uns aber die nächste Stunde nicht weg,“ meint Beat und hat schon ein Softeis organisiert. Wir suchen uns eine Unterkunft, parken unsere Drahtesel wie immer im Zimmer und nehmen ein Taxi zum Parkeingang. Das Gelände präsentiert sich als eines der geheimnisvollsten Gräberfelder der Welt. Bereits vor 2500 Jahren wurde mit dem Bau von künstlichen Gräbern und Grabhügeln begonnen. Nachfolgende Generationen schafften mächtige teils meterhohe Steinfiguren mit magischer Ausstrahlungskraft. Eine kleine Anzahl an Touristen ist sogar zu sehen. Aber Morgen soll’s schon weiter gehen. In der Nacht allerdings quält uns das Softeis und fesselt uns zwei Tage ans Bett. Zur Linderung der Magenkrämpfe kocht uns die liebenswerte Pensionswirtin gleich literweise Brühe – das hilft. Bei Abreise fragen wir, wie der Superservice beglichen werden darf. Fast beleidigt winkt sie ab, „dafür berechne ich euch nichts,“ sagt sie energisch. Gesegnet werden wir auch noch – wieder einmal! Wir sind tief berührt wie selbstlos, freundlich wir Gastfreundschaft erfahren dürfen.
Nach zwei weiteren steigungsreichen Etappen fasziniert uns das historische Popayán – die weiße Stadt. Die atmet den Charme der Kolonialzeit. Prächtige, weißgetünchte Bauten reihen sich um den geschäftigen, blitzblank gefegten Plaza de Caldas. Goldminen und umliegend fruchtbare Böden bescherten Popayán den Reichtum. Spiegelbild ist die mächtige Kathedrale und der Uhrturm mit seinem 1737 aus London gebrachten Zeitmesser. Apropo Zeit, die Hälfte „unserer“ ist schon um. Via Panamericana strampeln wir weiter. Irgendwie läuft es heute nicht rund. Zum Glück nur noch 20 km bis zum Tagesziel. Am Fuße des letzten Passes steht auf dem Straßenschild aber immer noch 34 km. Ich bin sauer und gebe Beat zu verstehen, dass wir das vor dem Dunkelwerden niemals schaffen. Beat meint, “Klar schaffen wir das“. Zwei Minuten später, nächster Wegweiser 19 km. Ja und jetzt? Der Bauarbeiter am Straßenrand faselt was von 26 km und die Polizei, die an der Ecke ein ½ Poulet verspeist, irritiert uns mit ihrer 23 km Angabe vollends. Beat will unbedingt weiter, ich will bleiben. Und da mein Temperament manchmal zu Überhitzung neigt – je gelassener Beat mit solchen Entscheidungen umgeht – bin ich jetzt ganz auf der Palme. Wir diskutieren lauthals und energisch. Aber eine 20jährige Freundschaft hält das aus. Rechts an der Tankstelle fährt plötzlich ein großer Truck heran. Schnell sausen wir hinüber, zehn Minuten später sitzen wir im Führerhaus bei Alfonso und Mariano. Es ist eng aber gemütlich. Im Gespräch erfahren wir, dass er die Nacht bis nach Pasto durchfahren wird. „Da kommen wir gerne mit,“ sagen wir wie aus einem Munde. Die wilde Fahrt durch das Hochgebirge zieht sich über Stunden. Längst ist die Nacht hereingebrochen. Ächzend schiebt sich der Truck entlang von Baustellen den steilen Pass hinauf. Rechts und links geht’s senkrecht abwärts. Plötzlich, ein entgegenkommender PKW verliert die Kontrolle über sein Fahrzeug, rast in der Baustelle, richtet sich seitlich auf, durchbricht die provisorische Leitplanke und ist weg. Wir sind alle geschockt. Polizei und Krankenwagen sind relativ schnell vor Ort. Später erfahren wir aus der Zeitung, dass 3 Menschen dabei ums Leben kamen. Pasto gefällt uns gar nicht, drum satteln wir auf und biken über einen 3750 Meter hohen Pass inklusive Schneegestöber zur Laguna Cocha. Ein wunderbarer Bergsee tut sich auf, an dessen Ufer sich eine Fischersiedlung mit Ausflugsbooten anschmiegt. Hier tanken wir in zwei Tagen Energie für die letzte Etappe in die Grenzstadt Ipiales. Die liegt auf 3000 Meter ü.N.N. und gibt sich geschäftig. Wieder der Angabe im Reiseführer gefällt uns der Stadtkern mit dem blau-weiß getünchten Gotteshaus. Die ist allerdings kein Vergleich zur außerhalb liegenden Santuario de las Lajas. Eine berühmte Wallfahrtskirche. Tausende Menschen drängeln sich um den neugotischen Kirchenbau, der abstrakt seinen Platz in der schroffen Felswand findet und das Bildnis der Jungfrau Maria umschließt. Auf dem Rückweg stärken wir uns im Restaurant Los Christales. Hier gibt’s Cuy – knusprig gebratene Meerschweinchen, die geschmacklich an Kaninchen erinnern. Jetzt heißt es nach drei Wochen und tausend Kilometern im Sattel Abschied nehmen von Kolumbien – und das macht uns sehr traurig angesichts der fantastischen Zeit…
Gelebte Tradition im Reich der Vulkane…
Der Systemzusammenbruch an der Grenze nach Ecuador verlangt Geduld. Belohnt werden wir mit dem Einreisestempel und einem Lächeln. In Punkto Landschaftsprofil ändert sich allerdings nur wenig. Passhöhen von 3500 Metern sind keine Seltenheit und werden zum ständigen Wadenbeißer. Ein Seitenstreifen am Rand der Panamerikana gibt uns Sicherheit, überhaupt begegnet uns der Verkehr mit Respekt. Nächstgelegenes Ziel ist das schmucke San Gabriel. Es bildet mit Ibarra die Klammer von kleinen bescheidenen Dörfern mit Schwarzafrikanern. Nachfahren ehemaliger Sklaven, die bis zum 18 Jh. als „Ware Mensch“ gehandelt wurden. Auch hier feuert uns die Bevölkerung an und wünscht uns Glück.
Zügig donnert ein Töff-Fahrer an uns vorbei, wendet, kommt zurück und entpuppt sich als der Schweizer Hans-Ueli. „Ich bin schon lange in Südamerika unterwegs, mein Haus habe ich verkauft und widme mich ausschließlich dem Reisen.“, erzählt er – beneidenswert! Die Nacht verbringen wir im historisch-kolonialen Ibarra, das sich gleich von vier Vulkanen umstellt sieht. Im „Café Art“ speisen wir hervorragend, trinken Bier und sehen nebenbei den Film die „Blechtrommel“ auf spanisch. Gezahlt wird in der Landeswährung – dem US Dollar. Morgens fegt uns laute Blechmusik aus den Betten. Der Grund ist eine Parade mit Panzerwagen und martialisch aussehende Truppen mit Schnellfeuerwaffen. Grausig, nicht wirklich mein Geschmack, aber ein Foto wert. Plötzlich schießt ein reichlich dekorierter Soldat auf mich zu, „Sofort das Fotografieren einstellen.“, brüllt er mich an. Ich will nur noch weg hier.
Da zeigt sich das über die Landesgrenze hinaus bekannte Otavalo mit seinem Kunsthandwerkermarkt schon weit aus entspannter. Die Stadt ist umgeben von drei mächtigen Vulkanen: Imbabura, Cotacachi und Mojanda – eine Sternstunde der Schöpfung. Die Indigenen „Otavaleños“ sprechen ihr heimisches Quechua und pflegen ihr traditionelles Weber-Handwerk. Im Ort und in den umliegenden Dörfern fertigen sie wunderschöne Stoffe und verkaufen sie im Städtchen als Schals, Teppiche, Ponchos und Decken. Dabei hüllen sie sich in ihre traditionellen schmuckvolle Kleidung. Als Kontrast dazu posieren auch westlich gekleidete selbstbewusste hübsche Mädchen vor meiner Kamera. „Hey Mister, make a photo“, höre ich ständig. Ganze Busladungen mit Touristen zieht es in diesen Tagen in die Andenstadt. Menschentrauben schieben sich über den Markt, jeder auf der Suche nach einem passenden Souvenir für sich – und die Lieben zu Hause…
Familientreffen am Äquator…
Uns bleiben nur noch drei Tage bis zum Heimflug. Otavalo liegt im Halbschlaf als wir es verlassen. Wir erklimmen einen kleinen Pass und erblicken am Fuße der Bergriesen die Lagune San Pablo. Beat fischt die Adresse einer Schule aus der Lenkertasche: „Die müssen wir unbedingt besuchen“, sagt er, „Markus, ein Basler, hat hier ein soziales Projekt für sanitäre Einrichtungen“. Der Empfang von Lehrern und Kindern ist überwältigend, der Schulbetrieb kommt augenblicklich zum Erliegen. Neugierig beäugen die Kids unsere Velos, gehen auf Tuchfühlung. Wir lassen eine Spende da und machen uns weiter auf den Weg nach Quito. In der Ferne grüßt der schneebedeckte Cayambe, ein Vulkan nahe der 6000 Meter. Wir nähern uns dem „Mittelpunkt der Erde“. So bedeutungslos der Ort zunächst erscheint – wir können uns nicht dem seltenen Gefühl entziehen, direkt auf der Scheidelinie zu stehen, die unsere Erde in eine nördliche und eine südliche Sphäre teilt. Der Verkehr nimmt zu. Die Ausläufer von Quito, der mit 2850 Metern höchstgelegenen Hauptstadt der Erde, rückt näher. Bereits 1526 kamen die Spanier und gründeten auf den Ruinen einer alten Inkasiedlung die Stadt. Dominiert wird die Landschaft vom 5897 Meter hohen Vulkan Cotopaxi. „Das ist aber jetzt nicht wichtig“, meint Beat. „ich will so schnell wie möglich zu meinem Bruder.“ Dementsprechend stürmisch ist die Begrüßung. Lange liegen wir uns in den Armen, jeder quatscht dazwischen, Tränen rollen. Oliver lebt hier seit 12 Jahren mit seiner ecuadorianischen Frau und den beiden Töchtern. Nebenan die Schwiegereltern, die uns gleich zum Mittagstisch bitten. Kolibris schwirren durch den Garten, ein Idyll unweit der Metropole. Sonntags ist die zum UNESCO Weltkulturerbe geadelte Altstadt autofrei und in der Hand der Velofahrer. Wir treiben durch Museen, prunkvolle Gotteshäuser und Klosteranlagen, sitzen auf barocken Stufen, beobachten das geschäftige Treiben auf schmuckvollen Plazas. Wieder bei Olli entfachen wir den offenen Kamin, quatschen die ganze Nacht über unsere Erlebnisse. Genauso hatten Beat und ich uns das vorgestellt zu unserem 20jährigen Jubiläum und enden vor dem Heimflug mit dem Zitat von Luis Sepúlveda – einem südamerikanischen Schriftsteller: „Das Reisen führt zu einer Begegnung mit anderen, was immer eine Möglichkeit ist, sich selbst zu begegnen.“
Wissenswertes zu Kolumbien/ Ecuador
Einreisebestimmungen: Kolumbien – Kein Visum erforderlich; Ecuador – Kein Visum erforderlich
Fläche: Kolumbien- 1.140.000 km²; Ecuador- 283.561 km²
Hauptstadt: Kolumbien/ Bogota; Ecuador/ Quito
Sprache: Kolumbien/ Ecuador – Spanisch (Amtssprache) außerdem werden indigene Sprachen gesprochen.
Bevölkerung: Kolumbien- 47 Mio.; Ecuador-15 Mio.
Geld wechseln: Kolumbien/ Ecuador- Mit Mastercard/ Visacard/ EC Karte Maestro kann am Geldautomat gegen Gebühr abgehoben werden. Zusätzlich empfiehlt es sich Dollar/ Franken oder Euro mitzuführen.
Grenzübertritt: Ipiales/ Rumichaca –Tulcán (Ecuador), geöffnet 6 – 21.00 Uhr. Tipp: Früh die Grenze passieren wegen langer Warteschlangen. Am Grenzposten Ecuador ist bei Einreise ein Formular auszufüllen.
Impfungen: Kolumbien/ Ecuador verlangen bei Einreise keinen Nachweis einer Gelbfieberimpfung – wird aber empfohlen, neben Tollwut, Malarie und den Standartimpfungen. Auskunft erteilt: Centrum für Reisemedizin-Düsseldorf, Tel.: +49 (0) 0211 904 290, www.crm.de
Elektrizität: Kolumbien/ Ecuador – 110 Volt Stromspannung. Für die Steckdosen wird ein Adapter benötigt – Flachstecker nach US-amerikanischem Vorbild.
Reiseliterartur/ Karten: Kolumbien- „Kolumbien“, Auflage 2012, ISBN 978-3-8317-2232-7 und Landkarte „Kolumbien“, ISBN 978-3-8317-7201-8 vom-Reise Know-How Verlag Ecuador- „Ecuador Galápagos“, Auflage 2013, ISBN 978-3-8317-1934-1 und Landkarte „Ecuador Galápagos“, ISBN 978-3-8317-7069-4 vom Reise Know-How Verlag