Trekking auf dem „West Highland Way“ in Schottland

Ob Naturfreund, Kulturliebhaber oder Romantiker, Schottlands Landschaftsbilder berühren die Seele eines jeden Reisenden. Hohe Berge, rauschende Flüsse, sagenumwobene Moorlandschaften und natürlich der weltberühmte Whisky machen die Insel zu einem der schönsten und dynamischsten Länder Europas.

Kaum ein anderes Land wird mit so vielen Klischees belegt wie Schottland. Das sind für viele: Karierte Röcke, Dudelsackpfeifer, Fässer voller Whisky und haufenweise Geizhälse. Klischees sind doch etwas ganz wunderbares – nicht wahr? Diese Schottlandbilder verblassen allerdings schnell, wenn man sich aufmacht Land und Leute kennen zu lernen. Malerische „Lochs“ gilt es zu entdecken, aber auch Schlösser, Herrenhäuser und Gärten, die allesamt Vergangenheit und kulturelle Gegenwart dieses europäischen Landes beschreiben. Darin eingebettet liegt der 154 Kilometer lange Fernwanderweg „West Highland Way“, der mit unvergesslichen Eindrücken auf den Trekkingbegeisterten wartet.

In aller Ruhe zum Ausgangspunkt

Die Frage auf welche Art wir möglichst angenehm nach Schottland reisen ist schnell beantwortet. Natürlich mit der Fähre. Nicht ganz ohne Hintergedanken, denn es ist ein lang ersehnter Wunsch meiner Familie, neben der gewohnt entspannten Passagen mehr von Schiff & Co. zu entdecken. Die Brücke und der Maschinenraum wecken dabei unser Hauptinteresse. Oben, da lenkt Kapitän Jesper Bern und sein Chief Officer Pavlo Chemiyenko die Geschicke von Schiff, Besatzung und über 1.200 Passagieren. „Eine täglich große Herausforderung und Verantwortung“, sagt er sichtlich stolz und blickt dabei weit über die endlose Nordsee. Tief im Schiffsbauch hingegen treffen wir später Jack Henningsen. Der Chefingenieur führt uns entlang der 25.000 PS starken und ohrenbetäubend lauten Maschinen, die zuverlässig den Vorschub zu unserm Zielhafen in New Castle garantieren. Ein tolles Erlebnis. Jetzt steht der Fahrt nach Glasgow nichts mehr im Wege. Das liegt im Westen Schottlands und ist die größte Stadt im Land. Ein Einkaufsparadies mit vielen Pubs, Restaurants und Clubs. Glasgow, das war lange als hässliche Industriemetropole verschrien. Lockt mittlerweile aber mit modernem Großstadtleben und mit kulturellen Events. Alte Fassaden erstrahlen im weichen Glanz gelben Sandsteins und wenn es nicht gerade regnen würde dann wäre das ganze Ensemble bestimmt noch einmal so schön anzusehen. Hier sind wir nicht weit entfernt vom Ausgangspunkt des „West Highland Way“ in Milngavie. Eine gemütliche Kleinstadt in den Lowlands, von der wir ab morgen einen der angesagtesten Tracks von Schottland bezwingen wollen.

Die Zeit, die uns gehört

Die Lowlands, das sind noch ein Stück Schottland für Entdecker. Das Hügelland bietet lieblichere Landschaften, Galloway Rinder am Wegesrand und steht für jahrhunderte Jahre agrarische Nutzung. Wir sind schon einige Stunden unterwegs. Haben dabei im leichtem Gelände Carbeth erreicht, gerastet und uns weiter auf den Weg in Richtung Drymen aufgemacht. Übrigens ein hervorragendes Landschaftsprofil zum Einlaufen. Das bietet dabei noch genügend Zeit die Whisky Distillery Glengoyne einen Besuch abzustatten, die seit 150 Jahren Malt Whisky produziert. Sie ist dabei eine von weit mehr als hundert aktiven Brennereien, die sich über das ganze Land verteilen. Scotch Whisky reift bis zu 30 Jahren in alten Whisky- oder Sherryfässern. Und wenn das Getränk auch nicht Jedermanns Geschmacksnerv treffen mag, der Besuch einer Destillerie gehört in Schottland einfach dazu. Wir überschreiten den Fluss Endrick Water via Brücke, die unter Reisenden beliebt ist um den Lachsen beim Wandern zu deren Laichgründen zuzusehen. Der weitere Streckenverlauf weist uns über die Grenze des Trossachs National Park, dem Ersten des Landes. Über eine schmale wenig befahrene Landstrasse mit alten verwitternden Farmhäusern  erreichen wir Drymen. Die Ausschilderung ist tadellos und lässt keinen Zweifel daran, wo es denn lang geht. Und weil es so rund läuft, wandern wir über gute Pfade direkt weiter nach Balmaha. Dazwischen entdecken wir mit dem Loch Lomond ein weiteres Publikumsmagnet. Der See gilt als der größte Süßwassersee Schottlands. Und wer den Gipfel des Conic Hill besteigt, was ein kleiner Abstecher ist, der wird mit einer herrlichen Fernsicht auf den See mit seinen vielen Inselchen belohnt.

Fassettenreiches Schottland

Berühmte Schriftsteller wie Sir Walter Scott oder der Nationaldichter Robert Burns haben Schottlands spröde Schönheit bereits unsterblich gemacht. Die Wiederentdeckung der gälischen Sprache und die Musik hat längst die schottischen Grenzen überschritten. Auf Außenstehende mögen Bräuche wie Baumstammwerfen und das Tragen von Röcken befremdlich wirken – für die Schotten allerdings ist es Teil ihrer Identität. Wahrscheinlich gerade deshalb freut sich das Land über eine stetig steigende Zahl von Touristen. Was sich natürlich in der Hauptsaison auch  auf den Zuspruch der Wanderwege auswirkt. Immer wieder kommen wir unterwegs mit den verschiedensten Menschen in Kontakt – Wanderfreunde, die ebenso wie wir die grandiose Natur aufsaugen. Es geht auf guten Pfaden weiter am Ufer des Loch Lomond entlang. Über Rowardennan halten wir auf Inversnaid zu und bewandern ohne es zunächst zu bemerken das Land des Rob Roy Mac Gregor. Ein bis heute verehrter Volksheld, der bis ins frühe 18. Jh. die Region alias Robin Hood aufbrachte. Dabei sollen die Felsengebilde einst als Gefängnis gedient haben, um seine Geiseln in Schach zu halten. Der weitere Streckenverlauf begleitet durch Mischwald und die Schutzhütte ist bald erreicht. Die Landschaften haben uns mittlerweile ganz in den Bann gezogen. Ruhe und wunderbare Fernsichten tun ihr Übriges. Jeder Schritt ein Erlebnis.

Bilderbuch-Ansichten

Schottland ist berühmt für seine rasanten Witterungswechsel. Eben sind wir in Invernaid in den Highlands bei strahlendem Sonneschein aufgewacht und blicken hoch motiviert einem weiteren Trekkingtag entgegen. Während unser Frühstück mundet, bläst der Wind schwere Wolken voller Atlantikwasser heran. Dann folgt ein Regenguss, der unsere Wanderlust betrüblich erscheinen lässt. Wir ziehen die Rucksäcke auf und wie ein Donnerhall reißt ganz plötzlich die Wolkendecke auf und die Sonne blitzt hervor. Strahlende Farben und ein Spiel aus Licht und Schatten lassen die Landschaft gleich wieder freundlicher erscheinen. Einzig ein Regenbogen kündigt vom eben noch nassen Intermezzo. Mittlerweile hat sich auch das Landschaftsprofil geändert. Ein schwieriger Abschnitt steht bevor, der doch etwas Trittsicherheit am felsigen Ufer abverlangt.  Zudem ist es heute doch etwas schmierig unter den Sohlen. Aber auch die Passage meistern wir im Nu. Vereinzelte Gehöfte wie die Ardleish Farm schieben sich in den Fokus. Ein Hügel folgt dem nächsten und belohnt mit immer wiederkehrenden Panoramen. In Inverarnan rasten wir kurz, verzehren etwas von unserem Proviant und ziehen weiter nach Crianlarich immer in Richtung Nordosten. Hier untermalt der River Falloch das Naturspektakel, in dem er immer wieder in kleineren und größeren Wasserfällen zu Tal stürzt.

Einsamkeit der Highlands

Gletscher formten während der letzten Eiszeit tief eingeschnittene Täler und hinterließen bei ihrem Abschmelzen Lochs und Fjorde entlang der Küste. Die von uns heute bewunderten schottischen Landschaften und die so charakteristische Einsamkeit ist eine Folge der Highland Clearance. Denn ab dem 18. Jh. wurden die Kleinpächter der Highlands von ihren eigenen Clanchiefs vertrieben, um das Land für die lukrativere Schaafzucht zu nutzen.

Die Tage verfliegen. Tyndrum, Bridge of Orchy und Victoria Bridge liegen auf dem Weg nach Kingshouse Hotel. Handzahme Hirsche gehen mit den Wanderern auf Tuchfühlung. Weniger angenehm hingegen sind bei diesen Witterungsverhältnissen (in den Sommermonaten) die Palette an Quälgeistern: Allen voran die berühmt berüchtigten Highland Midges. Stechen tun sie nicht – sie beißen! Und was, das ist denen völlig egal. Hauptsache es ist ein Säugetier. Alles kostet halt seinen Preis – auch die Schönheit der Highlands. Der Blick von hier schweift über die mächtigen grünen Hügelketten und gibt einen Vorgeschmack auf die folgende Etappe. Heute überschreiten wir den mit rund 550 Metern höchsten Punkt des „West Highland Ways“. Ein Pass ist dabei zu erklimmen. Der Pfad hinauf trägt den ehrfürchtigen Beinamen „Devil’s Staircase“ – wir lassen uns überraschen.

Sagenumwobener Glen Coe

Entlang des Hanges kommen wir zügig voran nach Altnafeadh. Dem Eingang zum Glen Coe. Hier liegt eine Gedenkstätte schottisch-englischer Feindseligkeiten. Denn das etwa zwölf Kilometer lange Tal mit seiner atemberaubenden Landschaft bezeichnet exemplarisch das düsterste Kapitel zwischen englischer Herrschaft und dem schottischen Nationalstolz. Unter Anordnung des englischen Königs wurde im 17. Jh. willkürlich der Clan der Mac Donalds massakriert. Heute hält das Besucherzentrum in Glen Coe die Erinnerung an diese Gräueltat wach.

Wie ein riesiger Wurm schlängelt sich der Pfad nun bergan. Langsam aber stetig stapfen wir aufwärts – und dabei sind wir nicht alleine. Ein bunter Mix aus Jung und jung Gebliebenen kämpft sich zum Pass hinauf. Große Steinhaufen verraten, dass es gar nicht mehr weit sein kann. Angekommen! Die Fernsicht ist grandios. Wir entschließen uns wegen dem Andrang zum Weitergehen und rasten später ein wenig abseits des Weges – Wind geschützt in völliger Ruhe. Jetzt geht’s abwärts nach Kinlochleven. Wir stärken uns in einem Restaurant und setzen unsere Wanderung fort. Nur noch zwei Etappen – dem Ziel ganz nah…

Echte Schottische Standards

Es geht wieder einmal bergan. Der Weg mündet auf eine alte Militärstrasse, die uns geradewegs an die Ruinen der Farm Tigh-na-sleubhaich führt. Lochan Lunn Da Bhra trennt uns nur noch von Fort Williams. Dichte Wälder und große Freiflächen sind nun unser Begleiter hinab ins Glen Nevis.

Und wenn die Landschaften sich nicht gerade Nebelverhangen dem Betrachter entziehen, hat man immer wieder einen herrlichen Blick auf den Ben Nevis, den höchsten Berg Großbritanniens. Mit aller Kraft zieht es uns nun zum Ziel. Geschafft. Überglücklich fallen wir uns in die Arme. Eine unglaubliche Befriedigung stellt sich ein. Wir gönnen uns ein riesige Portion Fish & Chips und schlendern dann zum Bahnhof. Denn Harry Potter Fans aufgepasst: Hier startet der Hogwarts Express? Die Dampflock schiebt sich just in dem Moment schnaubend aus dem Bahnhof hinaus. Wir besuchen noch das sehenswerte West Highland Museum, lauschen den Dudelsackklängen in der Fußgängerzone und verabschieden uns vom Trekking auf dem „West Highland Way“. Da fehlt  aber doch noch etwas. Schottland ohne eine Burg zu besichtigen – undenkbar. Es gibt ein paar Dinge, die sind Standart in Schottland: Malt Whisky und alte Clanburgen gehören dazu. Für letzteres steht exemplarisch wie keine andere das Eilean Donan Castle. Am Schnittpunkt dreier Meeresbuchten und vor der Kulisse schroffer Berge gelegen liegt die Bilderbuchburg aus dem 13. Jh. in Glen Siel. Die meist fotografierteste Schottlands und Drehort von Filmklassikern wie Ritter der Kokosnuss und Highländer. Ein wirklich grandioser Abschluss einer atemberaubend schönen Reise.

Infobox                                                                                     

Charakter

Der Fernwanderweg „West Highland Way“ ist über die gesamte Strecke von rund 154 Kilometer perfekt markiert. Wegen den zum Teil kräftigen Anstiegen empfiehlt sich eine gute Kondition. Start ist in Milngavie im Norden von Glasgow und der Endpunkt liegt in Fort William was in 5-8 Tagen zu bewältigen ist. Tipp: Wer den schweren Rucksack nicht schultern möchte, kann sich bei Vorbuchung sein Gepäck zur gewünschten Unterkunft am Etappenziel transportieren lassen!

An-/Abreise

Wer mit dem eigenen Fahrzeug anreist ist flexibel und unabhängig. DFDS Autofähre Amsterdam/Ijmuiden – Newcastle. Fährverbindungen: Täglich, www.dfdsseaways.de, von Newcastle weiter auf der A69 und A74 bis Glasgow und von dort auf der A 81 zum Ausgangspunkt in Milngavie. Fahrzeit ca. 3 ½ Stunden.

Flugzeug: TäglicheVerbindungen nach Glasgow International Airport. Mit Bus/Taxi ins Zentrum. Züge fahren  von dort jede halbe Stunde von der Queen Street Station (Sonntag Central Station) nach Milngavie. www.nationalrail.co.uk. Angekommen in Fort Williams fahren täglich Shuttelbusse/Züge zurück zum Ausgangspunkt oder nach Glasgow.

Beste Reisezeit

Ausrüstung und Reiseerfahrung vorausgesetzt kann der West Highland Way ganzjährig bewandert werden. Die beste Zeit allerdings ist von April bis Juni und im September/Oktober. Hauptsaison Juli und August sind viele Wanderer unterwegs und die Midges (lästige Mücken) trüben das Naturerlebnis.

Bücher und Karten

Reiseführer Schottland, ISBN: 978-3-8317-2826-8, 23,90 Euro und Landkarte Schottland, ISBN: 978-3-8317-7245-2, 9,95 Euro vom Reise-Know-How Verlag, www.reise-know-how.de. Outdoorhandbuch West Highland Way von Hartmut Engel, ISBN: 978-3-86686-371-2, 14,90 Euro, Conrad Stein Verlag

Ausrüstung

Die Wetterbedingungen in Schottland sind wechselhaft. Wind- und wasserabweisende Kleidung sind auf der Tour deshalb unerlässlich. In den passgenauen Rucksack gehören indes neben einer Erste-Hilfe-Tasche auch Sonnencreme, Hut, Brille, Taschenlampe und eine Trinkflasche. Für die Camper: Zelt mit guter Wassersäule, warmer Schlafsack, Kocher und Matte. In den Monaten Juli und August empfehlen wir ein Mückennetz, das über dem Kopf getragen wird.

Infos

VisitScotland

Ocean Point One

94 Ocean Drive

Edinburgh EH6 6JH

Tel.: +44(0)131 472 2041www.visitscotland.com

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